Religion in Assassin’s Creed von Ubisoft (und was wir daraus lernen können).
Shownotes
Wie immer ziehen wir drei spannende Marketingideen aus dem Paper:
- Widersprüche in Forschungsdaten: Warum wir uns darüber eigentlich oft freuen sollten!
- Tiefe Bedürfnisse: Warum sie fürs Marketing so wichtig sein können und wie wir sie finden!
- Marketing-Metaphern: Warum Ubisoft die Spielentwicklung mit dem Zubereiten eines Hamburgers vergleicht und warum gutes Marketing Ähnlichkeiten mit einer Segelregatta hat!
Das Paper, auf das wir uns beziehen: de Wildt, L., & Aupers, S. (2023). Marketable religion: How game company Ubisoft commodified religion for a global audience. Journal of Consumer Culture, 23(1), 63-84. https://doi.org/10.1177/14695405211062060
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Transkript (mit Übersetzung) Folge 2 von „Dr. Hugos Marketing-Monokel – ein Podcast der TH Aschaffenburg Mai 2024 Oliver Hugo:
Herzlich willkommen liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zu unserer zweiten Folge von Dr. Hugo's Marketing-Monokel, ein Podcast der Technischen Hochschule Aschaffenburg. Kurz zur Erinnerung für alle, die beim ersten Mal vielleicht nicht dabei waren – was machen wir hier? Wir wollen Inspiration liefern, Impulse liefern, Ideen zum Nachdenken liefern und zwar für Marketingleute. Unser Konzept ist dabei ganz einfach: wir schauen uns immer ein wissenschaftliches Paper an, versuchen drei Marketingideen rauszuziehen und besprechen das Ganze dann mit einem Gast – möglichst kurz und prägnant. Mein Name ist Oliver Hugo und ich freue mich, für Sie eine ganz ungewöhnliche Studie dabei zu haben, nämlich ein Paper über das Videospiel Assassin’s Creed. Und da geht es lustigerweise um die Frage, warum gerade Religion in diesem Videospiel eine so besondere, eine so große Rolle spielt. Religion und Videospiele, wie passt das zusammen, wie hat Ubisoft das gemacht und warum? Für diese Folge habe ich mich mit Sean Dromgoole aus Großbritannien unterhalten. Sean ist ein guter Freund und einer der führenden europäischen Marktforscher im Videospielbereich. Er hat verschiedene Unternehmen gegründet und geführt, zum Beispiel GameVision und Some Research und mit diesen Unternehmen einen großen Fußabdruck in der Branche hinterlassen. Und an dieser Stelle schon mal, herzlich willkommen Sean.
Sean Dromgoole: Ich freue mich, hier zu sein! Ich freue mich darauf. Wir haben lange über dieses Projekt gesprochen und jetzt endlich machen wir es.
Oliver Hugo: Ganz kurz der Hinweis, dass ich das Interview mit Sean auf Englisch geführt habe und dass wir hier im Podcast die englische Originalversion seines Texts wiedergeben. Wer gerne eine Übersetzung haben möchte, der findet das deutsche Transkript bei uns auf der Webpage www.th-ab.de und da unter Marketing-Monokel. Wie ist es eigentlich, wenn man Marktforschung für die Videospielbranche durchführt? Ich habe Sean mal gefragt, wie das in der Praxis genau aussieht.
Sean Dromgoole: Also, meine Rolle in der Games-Industrie war es, „strategische Forschung“ durchzuführen. Das macht man dann, wenn die Entwicklung eines Projekts nicht so klar vorangeht, wie man es sich erhofft. Das kann ganz am Anfang sein, wenn man nicht genau weiß, was man da vor sich hat und für wen es interessant sein könnte. Es kann auch am Ende sein, wenn man bereits gute Ideen hat, aber nicht sicher ist, ob sie ins Schwarze treffen. Und die Art und Weise, wie wir in solchen Situation geholfen haben war mit Fokusgruppen. Das heißt: Acht fremde Menschen in einem Raum, die über einen Moderator – der einen Leitfaden mit Fragen entworfen hat – zu dem Kunden sprechen. Der große Vorteil, das Ganze mit mehreren Personen in einem Raum zu machen, ist das, was wir als „Gruppeneffekt“ bezeichnen, wodurch wir eine gewisse Überprüfung haben im Hinblick auf das, was die Leute sagen. Wenn man nur Einzelinterviews durchführt dann können Menschen in die verrücktesten und wunderbarsten Richtungen abdriften. Aber wenn man es in einer Fokusgruppen macht, hält sich das Ganze in einem einigermaßen vernünftigen Rahmen. Und das ist eben eine sehr gute Möglichkeit, Ideen zu testen, Ideen zu entwickeln, zu überprüfen etc.
Oliver Hugo: In unserem Podcast geht es ja um Inspiration und spannende Impulse fürs Marketing. Deshalb hat es mich auch interessiert, wo Sean als Profi-Marktforscher hinschaut, um sich selbst inspirieren zu lassen. Woher zieht er interessante Ideen?
Sean Dromgoole: Das Beste, was du hören wirst, die eine Idee, die alles auf den Punkt bringt, was du zu verstehen versuchst, kommt oft von der langweiligsten Person und zwar in der Fokusgruppe, von der Du es am wenigsten erwartest. Das ist dann die Person, die das Wesentliche auf eine Art und Weise formuliert, dass jeder einfach sagt: oh, großartig! Manchmal ist das ein „Eureka-Moment" und wow, das ist brillant, das alles ganz neu… Manchmal hat man sich einfach recht systematisch durch einen Prozess der Elimination in Richtung dieses Ergebnisses vorgearbeitet… Aber es kommt ganz plötzlich und von der Quelle, von der du es am wenigsten erwartest. Und das st wirklich die Regel Nummer 1: Einfach offen bleiben für das, was kommt!
Oliver Hugo: Also, ganz wichtig, offen bleiben. Inspiration kommt oft aus überraschenden Quellen. Und unsere Quellen, das sind eben Artikel, die über Studien in wissenschaftlichen Journals geschrieben wurden. Und unser Paper heute wurde verfasst von einem Autoren-Duo namens Lars de Wildt und Steph Aupers von der Universität Groningen in den Niederlanden. Und dieses Paper, diese Studie, nimmt sich Assassin's Creed von der Firma Ubisoft vor. Und das ist ein sehr großes Franchise, wie man in der Spielebranche sagt. Ein Franchise ist ein Begriff für eine Spielemarke. Und dieses Franchise, diese Spielemarke, Assassin's Creed, ist „mega“ weil sie 100 Millionen Spielerinnen und Spieler weltweit hat und außerdem inzwischen ein riesiges, multimediales Universum daraus entstanden ist: 22 Spiele, 4 Filme, 9 Romane, 12 Comics und es kommt immer mehr dazu. Veröffentlicht wurde das Paper im Journal of Consumer Culture im Jahr 2023 und zwar in der Ausgabe 23/1. Also wer sich's mal holen will, gerne einen Blick in die Show Notes oder auf unsere Website an der TH Aschaffenburg werfen. Da steht der Link zum Paper für alle nachlesbar drin. So und für diejenigen, die das Spiel nicht kennen, ganz kurz mal zur Handlung. Im ersten Spiel dieser Serie (und dieses erste Spiel setzt den Ton für das ganze Franchise) geht es um einen Kampf um biblische Artefakte, biblische Gegenstände. Und in diesen Kampf sind verschiedene Religionen verwickelt. Zum Beispiel ein islamischer Geheimorden und auf der anderen Seite christliche Tempelritter. Und in der Studie von de Wildt und Aupers geht es jetzt eben genau um diesen religiösen Aspekt. Wie kommt eigentlich eine Firma wie Ubisoft dazu, Religion zum Dreh- und Angelpunkt eines Videospiels zu machen? Ich wollte mal von Sean wissen, warum er denkt, dass Ubisoft Religion so zentral in dieses Spiel eingebaut hat.
Sean Dromgoole: Warum würde man Religion – darum geht es in diesem Paper – überhaupt in ein solches Spiel einbauen? Es verleiht einen Wow-Faktor. Wenn man etwas aus einem religiösen Grund tut, ist das heftig! Gamer lieben das. Religion einzusetzen und die typische westlich-christliche Perspektive mit etwas anderem zu kontrastieren ist irgendwie cool und ungewöhnlich auf eine Weise, die Gamer anziehend finden. Schließlich gibt es dir einen fantastischen Grund für Konflikte! Normalerweise braucht man in Videospielen Gründe, warum man gegeneinander kämpfen soll, weil Kampfhandlung eben sehr spannend für die Spieler ist. Und es gibt wenig bessere Gründe für Konflikte als Religion – und zwar wie unsere echte Geschichte zeigt, nicht die Spielgeschichte, aber die echte Geschichtsschreibung zeigt.
Oliver Hugo: Also Sean nennt hier ganz viele Gründe, die für Religion in einem Spiel sprechen können. Ein Wow-Faktor, etwas Mystisches, Geheimnisvolles und am Ende natürlich auch eine Grundlage für einen Konflikt, denn in vielen Spielen und auch in Assassin’s Creed geht’s ja genau darum, um’s Kämpfen. Also Religion ist tief in diesem Spiel verankert, das wirft die Frage auf, wie ist Ubisoft mit der Religion dann umgegangen in dem Spiel. Es gibt ja inzwischen über 20 Spiele in der Serie. Was hat Ubisoft dann im Laufe der Zeit mit diesem religiösen Kern oder religiösen Thema gemacht? Und da zeigen die Autoren eigentlich drei Dinge, drei Strategien auf, die Ubisoft umgesetzt hat. Und ich fasse mal kurz zusammen, das ist erstens eine Entpolitisierung der Religion, zweitens eine Universalisierung der Religion und drittens ein Hineinmischen von Science Fiction und Hightech. Entpolitisierung bedeutet, sie hat versucht, das Thema zu entschärfen, dem Thema Religion den ganz kontroversen Stachel irgendwie zu ziehen, der zu Anfeindungen und Shitstorms führen kann. So eine Art Weichspüler hinzugefügt. Wie haben sie das gemacht? Zum Beispiel, indem sie sich bewusst auf keine Seite stellen und beide Konfliktparteien eher als Grau darstellen und nicht zur üblichen Schwarz-Weiß-Malerei, Gut-Böse-Malerei greifen. Die zweite Strategie, die Universalisierung, ja, das ist im Prinzip die Idee es interessant zu machen für möglichst viele. Also man hat dann so eine Art Piggybacking betrieben, das ist wie so eine Huckepack-Strategie. Man schnappt sich besondere Momente in der Menschheitsgeschichte und sattelt da dann Religion drauf. So und dann wird das attraktiver für ein größeres Publikum. Also man nimmt zum Beispiel noch die französische Revolution mit hinein oder die Renaissance etc. Und die dritte Strategie bestand darin, noch etwas Zusätzliches hinein zu tun, nämlich Science Fiction, Hightech. Und dieses Mischen erscheint mir grundsätzlich interessant und das sieht man ja auch ganz oft bei erfolgreichen Spielen, dass die dann sogenannte Genres aufbrechen und durchmischen. Ich habe Sean mal gefragt, wie er diese Science-Fiction-Strategie denn sieht.
Sean Dromgoole: Wenn du die Wunder wegnimmst und den Glauben an Wunder wegnimmst, musst du dich fragen, was für eine Religion du noch übrig hast! Das zieht das Ganze wirklich weg von diesem anfänglichen, sehr religiösen Tenor…
Oliver Hugo: Also, so ein Einfügen von Science-Fiction Narrativen hat Vorteile, aber hat auch einen Preis. Und der wäre zum Beispiel einen gewissen Verlust der mystischen Aura, den die Wunder der Religionen ja eigentlich begleiten. So, und dann kommen wir auch schon zu unseren drei Marketingideen aus dem spannenden Paper. Marketingidee Nummer eins. Wenn du Marktforschung machst, begebe dich mehrfach auf die Suche und achte auf Widersprüche in deinen Forschungsdaten. Was bedeutet das? Also auf den ersten Blick wird man als Marketingmensch ja sagen, hey, Religion ist doch total out und da reicht es ja auch mal kurz im Netz zu googeln. Im Jahr 2022 sind über eine halbe Million Menschen aus der katholischen Kirche und noch mal fast 400.000 aus der Evangelischen ausgetreten. Also enorme Austrittswelle. Das Interesse an organisierter Religion scheint im Sinkflug zu sein. Es gibt immer mehr Atheisten und so weiter. Frage ist, welchen Schluss zieht man jetzt daraus? Und wie man an Assassin's Creed sieht, wäre es eben in diesem Fall komplett falsch gewesen, dann gleich zu sagen, hey, Religion ist out, lass uns ein anderes Thema suchen. Und deshalb braucht es einen zweiten Blick und oft einen dritten und vierten. Und da ist ja auch das Wort im Englischen so toll, nämlich „research.“ „Re-“ für wieder und „search“ für suchen, also immer wieder suchen. Im Deutschen haben wir es ja durchaus ähnlich mit dem Wort recherchieren, also „re-“ für wieder und „cherchieren“ von Französisch „chercher“ suchen. Und wenn man das dann tut, dann stößt man nicht selten auf Widersprüche in den Daten… Und das ist meines Erachtens auch gut so, denn manchmal bieten gerade die Widersprüche einen Weg hin zu tieferen, sehr wichtigen, zu besonderen Wahrheiten, die man für die Positionierung, die Entwicklung von Marken, Produkten verwenden kann. Ich habe Sean mal gefragt, wie er solche Widersprüche, solche Anomalien im Forschungsprozess und im Marketing allgemein wahrnimmt.
Sean Dromgoole: Irgendwie ist es doch immer eine Anomalie. Es immer etwas, das noch unerklärt oder unverstanden ist, das dich in den Forschungsprozess zieht. Es ist oft der Fall, dass das genau der Treiber ist. Außerdem gibt es so ein Phänomen, das einige Marken betrifft und die tragen irgendwie einen zentralen Widerspruch in sich. Da gibt es etwas Unerklärtes und Unerklärbares genau in der Mitte dieser Marken. Da gibt es etwas, das irgendwie „falsch“ anmutet. Und genau genommen wirkt ein solcher Widerspruch wie eine Irritation auf den, der das wahrnimmt. Und dann wollen Leute sich damit befassen und herausfinden, was damit nicht stimmt. Manchmal ist es wie das Wegziehen des Vorhangs im Tempel! Das willst du vielleicht gar nicht tun solange es funktioniert. Sondern du akzeptierst die Anomalie und arbeitest mit ihr und um sie herum, um sie einzubauen. Also, diese Anomalien können wie Irritationen wirken, die dazu führen, dass Leute sich mehr für Deine Marke interessieren. Es ist also wirklich keine schlechte Sache.
Oliver Hugo: Genauso ist es. Also Widersprüche, Anomalien sind nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil, sie gehören zum Forschungsprozess. Und wie Sean betont, auch zur DNA nicht weniger sehr erfolgreicher Marken. Also bewusst wahrnehmen, ihnen auf den Grund gehen. Nicht wegdrücken, nicht denken, oh je, hier widersprechen sich die Daten, das muss ich glätten, das muss ich irgendwie wegbügeln. Nein. Sondern sich diese Widersprüche, die Anomalien genau anschauen. Manchmal bieten sie den Weg zu einer tieferen Erkenntnis. Marketingidee Nummer 2 Und die lautet, es lohnt sich nach besonders tiefen Bedürfnissen zu schauen. Hier im Paper sicherlich das Bedürfnis nach Sinn, nach Geheimnis, nach Mystischem. Das scheint ein solches tiefes Bedürfnis zu sein. Im Paper wird dann Luckman zitiert mit dem Gedanken, dass Religion heutzutage ein „Market of Ultimate Significance“ sei, ein Markt der ultimativen Bedeutung, also im Sinne der tiefsten, der letzten Geheimnisse unserer Existenz. Ich wollte von Sean wissen, ob Religion für ihn ein solches tiefes Bedürfnis ist, obwohl sich das in der Zugehörigkeit zu Kirchen beispielsweise heute nicht mehr so direkt niederschlägt.
Sean Dromgoole: Also, obwohl es wahr ist, dass der kirchliche Einfluss auf das spirituelle Leben geringer geworden ist, denke ich, dass das individuelle Suche nach Spiritualität bleibt – das ist ein konstantes Bedürfnis. Da galt im Mittelalter genauso wie heute und wird auch in 1000 Jahren noch so sein. Und wie diese Reise dann genau aussieht verändert sich im Laufe der Zeit.
Oliver Hugo: Also wenn wir jetzt dann im Punkt sind, wo wir sagen, hey, tiefe Bedürfnisse sind wichtig, dann die Frage, wie kommt man dahin? Wie arbeitet man mit dem Gedanken, dass es so eine Art Hierarchie an Bedürfnissen und auch Nutzen gibt? Und dazu habe ich Sean auch gefragt. Sean Dromgoole: Klassischerweise, versuchen wir in unserer Arbeit die offensichtlichen Verhaltensweisen und Präferenzen auf etwas Reduziertes zurückzuführen. Man fragt die Probanden, ob sie etwas mögen und isoliert das, was sie mögen. Und dann geht man immer weiter und fragt, warum magst du das? Womit verbindet es sich? Warum ist dir das wichtig? Damit versucht man sich einen Weg zu bahnen hin zu einer Art Liste mit Nutzenarten, die von Unterhaltungsprodukten geboten werden. Und diese Nutzenarten – wenn man sie weiter bearbeitet – können mit verschiedenen Bedürfnismodellen verbunden werden, wie zum Beispiel die Maslow Hierarchie. Nun, weil die Probanden oft so viele Dinge mögen, versucht man das ganze einzukreisen und schaut, welche weiteren Bedürfnisse sich in einem Bedürfnis verbergen bis man zu einer Art übergeordneten Bedürfnis kommt, das sich dann irgendwie in der Mitte befindet. Das ist eine klassische, reduktionistische Analyse. Viele Leute nennen es eine „Brand Onion.“ Das gibt einem ein recht klares Bild dessen, was da läuft.
Oliver Hugo: Ja, er sieht hier die sogenannte Laddering-Technik in der Pflicht. Die besteht in einem wiederholten Nachfragen in qualitativen Interviews – warum etwas wichtig ist, warum etwas bedeutungsvoll ist und wozu es dann letztlich führt, welche Werte, welche übergeordneten Bedürfnisse es befriedigt. Wie sieht das jetzt speziell in der Spielebranche aus? Sean Dromgoole: Ich habe hauptsächlich in der Unterhaltungsbranche gearbeitet und Unterhaltung ist nicht ganz so weit oben auf Maslows Bedürfnishierarchie. Es nicht ganz so wie Essen, Wasser, Sex und so weiter. Es ist einfach, hey, ich will nur Spaß haben! Aber in Spielen gibt es schon eine Reihe spezifischer Dinge. Manche Gamer lieben es, etwas vollständig durchzuspielen. Die Levelstruktur in Spielen reizt sie, das zu tun. Das ist ein Gefühl, das sie dann genießen. Andere mögen, es, Dinge zu gewinnen. Andere lieben es, andere Spieler zu schlagen. Andere lieben Komplexität. Manche mögen ein Gefühl der Bildung. Manchmal geht es auch um einen reflexartigen Spaß, der dann entsteht, wenn man einen bestimmten Dreh raushat. Zum Beispiel wenn man etwas wie Wii Tennis spielt – da gibt es das einfache Glücksgefühl, die physische Bewegung zu beherrschen, das ist sehr befriedigend. Ganz viel hat mit einem Lernzyklus zu tun, in dem du lernst eine gegebene Fähigkeit korrekt anzuwenden, das führt dann zur nächsten Fähigkeit und so weiter und so fort. Also das sind schon fundamentale Bedürfnisse, die in Spielen befriedigt werden. Und wenn man diese Videospiele vermarktet, deutet man diese fundamentalen Bedürfnisse an, so dass die Leute auch verstehen, hey, das bekomme ich hier. Aber im Spielebereich ist es wichtig, zu erkennen, dass man es einfach nur mit Nervenkitzel, Unterhaltung, leichten Dingen zu tun hat. Sonst wird man zu pompös.
Oliver Hugo: Also Sean meint, es gibt schon spezielle Bedürfnisse und besondere Nutzenarten im Unterhaltungsbereich und bei Spielen. Zum Beispiel den Wunsch, etwas vollständig durchzuspielen, also zu meistern sozusagen oder einen Wettbewerb zu gewinnen, andere im Kampf besiegen, Komplexität verstehen, bewältigen, Bildung auch manchmal. Also eine ganze Reihe von Bedürfnissen, die sich auch in der Unterhaltung ausmachen lassen. Aber am Ende eben ist es gut, sich daran zu erinnern – und das betont Sean hier ja auch – hey, es geht doch um etwas Leichtes, es geht um Unterhaltung und das sollten wir nicht vergessen. Marketing-Idee Nummer 3 Witzige Metaphern und Sprachbilder nutzen, um Dinge zu vermitteln. Diese Marketing-Idee hat mich persönlich in dem Paper ziemlich überrascht. Und zwar Ubisoft vergleicht die kreative Entstehung eines neuen Spiels in der Assassin’s Creed Franchise mit dem Backen eines Hamburgers. Also neues Spiel entwickeln ist wie Hamburger backen. Ganz im Ernst. Und zu dieser Metapher gibt es sogar ein Bild im Paper, also die haben das auch visualisiert. Und der Gedanke der Metapher ist, dass Marketing, also die Marketingabteilung, das Brot liefert. Die Basis, das wäre zum Beispiel das Setting eines Spiels. Ein anderes Team liefert die typische Soße, die dann auf den Burger draufkommt und sichert damit einen gewissen einheitlichen Geschmack. Und wieder eine andere Abteilung stellt sicher, dass jedes Game eine möglichst große Zielgruppe anspricht. Und dazwischen, zwischen diesen Bausteinen findet dann sozusagen die Spielentwicklung selbst statt. Programmierung, Artwork und so weiter. Also für mich ist ganz klar, ich bin der Überzeugung, dass man im Marketing viel mehr bewusst mit Metaphern arbeiten kann und sollte, mit interessanten Sprachbildern. Und die können dann auch visualisiert werden. In unserem Studiengang an der TH Aschaffenburg befassen sich Studierende zum Beispiel auch mit Metaphern als Kommunikationsinstrumenten, um komplexe Ideen schnell, gut verdaubar zu vermitteln. Sean hat sich diese Metapher des Hamburger-Backens von Ubisoft mal für uns angeschaut. Was hält er davon?
Sean Dromgoole: Ich denke, ich kann sehen, was sie damit bezwecken wollen. Erinnern wir uns daran, wo sie herkommen. Sie haben dieses Spiel kreiert, das wirklich avantgardistisch und vielleicht ein bisschen zu aufregend für die Götter der Konzenzentrale in Paris ist und sie wollen das ein wenig reduzieren. Also wollen sie Schichten – eine Reihe von Checkpunkten – einbauen so nach dem Motto: weiter als das darfst du nicht gehen. Gleichzeitig wollten sie auch betonen, dass die Leute in der Mitte sozusagen das „Fleisch“ des ganzen Vorgangs sind. Aber tatsächlich – der Boden und der Deckel – das ist Paris und vergesst das nicht. Also, wenn die Metapher das sagen soll, sagt sie das auf eine erfolgreiche Weise. Aber es ist keine perfekte Metapher.
Oliver Hugo: Ja, Metaphern sind natürlich nie perfekt und die Metapher des Hamburgers, die Ubisoft hier verwendet – und darauf spielt Sean ein ganzes Stück weit an – hat sicher auch ihre Schwächen. Zum Beispiel denken Sie mal an den klassischen und vermutlich erfolgreichsten Hamburger der Welt, den Big Mac. Was ist Teil seines Erfolgsrezepts? Genau, gerade eben auch, dass er immer exakt gleich oder mehr oder weniger gleich schmeckt. Das soll ja bei Videospielen nun gerade nicht der Fall sein. Das heißt der Grad an Variation, an Veränderung, der ist bei Games-Serien doch viel höher als bei einem Hamburger, als bei einem Big Mac. Außerdem legt diese Metapher aus dem Fast-Food-Bereich ja so eine Leichtigkeit oder Schnelligkeit oder auch eine Mühelosigkeit nahe. Und das ist eben in der Entwicklung wirklich großer Spiele wie Assassin’s Creed in der Praxis, in der Industrie nicht anzutreffen. So ein neues Top-Videospiel, das braucht bis zu fünf Jahre in der Entwicklung, es verschlingt bis zu 200 Millionen Euro und da ist wenig von Schnelligkeit, Leichtigkeit und „easy peasy.“ Und vor diesem Hintergrund, vor dem Hintergrund dieser gewissen Kritik, habe ich Sean dann auch mal gefragt, ob er vielleicht eine Metapher kennt, die richtig gut funktioniert. Eine Metapher gerne im Marketingbereich, die den Marketingbereich vielleicht ganz gut charakterisiert.
Sean Dromgoole: Es gibt eine geniale Metapher, die ist in einer Sammlung von Aufsätzen von Mark Earls enthalten. Der Aufsatz wurde von jemandem geschrieben, mit dem ich mal geschäftlich verbunden war, namens John Cronk. Und er vergleicht Marketing mit einer Segelregatta, mit einem Yachtrennen. Die Sache mit diesen Yachtrennen ist, dass man am Anfang nicht gesagt bekommt, wo der Endpunkt ist. Es wird einen Endpunkt geben, so 24 Stunden später. Aber wegen der unterschiedlichen Wetter und Wellenlagen, weiß man eben vorher nicht genau, wo das Ende ist. Man ist also auf diesem Boot und man versucht verzweifelt, sich vor anderen Boot zu manövrieren. Der Wind ändert sich dauernd, der Kurs kann sich verändern, die Position der anderen Boote verändert sich, der Wellengang beeinflusst das Boot – teilweise vorhersehbar, teilweise überraschend. Und normalerweise bist du im Team vier bis sechs Personen und versuchst verzweifelt, alle motiviert zu halten, während das Ganze passiert. Und das ist ganz ähnlich im Marketing! Denn wenn es eine große Marke ist, hört das Marketing nicht wirklich auf! Es gibt keinen Endpunkt, auf den man hinarbeitet. Vor und hinter dir verändern sich die Positionen der Wettbewerber und du schaust dir die Taktiken an, die sie einsetzen und versuchst, sie zu berücksichtigen. Und manche Wahrheiten gelten für eine solche Segelregatta genauso wie fürs Marketing! Eine ist, dass es nur im Team geht. Wenn du versuchst, dass alleine zu tun, wirst du kläglich scheitern. Es ist ganz wichtig, dass das Team gut zusammenarbeitet. Es wird eine Kernkommunikation im Team geben, die extrem wichtig ist im Hinblick auf die momentane taktische Lage wie auch auf die langfristige Strategie. Ohne gute Kommunikation funktioniert einfach gar nichts! Aber, du musst Ideen entwickeln! Denn – und das ist die letzte und wichtigste Wahrheit – du wirst nie gewinnen, wenn du dem Boot vor dir folgst. Wenn du lediglich das Boot vor dir nachahmst, bist zum zweiten Platz verurteilt. Du musst irgendwann eine Strategie umsetzen, die anders ist, als das, was sie tun, sonst kannst du nicht gewinnen. Also, das ist eine nette Strategie. Hat ein bisschen was von erster Welt, das gebe ich zu, aber das Bild fasst die Dynamik im Marketing gut zusammen.
Oliver Hugo: Ungewöhnliches Bild. Sean vergleicht hier den Marketingprozess mit einem Jachtrennen, mit einer Segelregatta. Lohnt sich mal drüber nachzudenken. So, und langsam kommen wir auch zum Ende unserer Folge. Und was denken Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer? Glauben Sie persönlich, dass das Videospiel Assassin’s Creed auch ohne das religiöse Setting so erfolgreich gewesen wäre? Ja? Nein? Warum? Diese Frage habe ich dann ganz am Ende unseres Interviews auch an Sean gestellt. Sean Dromgoole: Das ist eine gute Frage! Das Spiel hat sich auf jeden Fall von diesen Anfängen weiterentwickelt, aber ich glaube, dass dieses avantgardistische, innovative Element, dieser Ikonoklasmus und diese Umkehr der üblichen Rollen dem Spiel einen guten Boost gegeben hat, der es am Anfang weit über das übliche Grundrauschen in der Branche hinausgehoben hat. Keine Frage, es war ein gutes Spiel. Aber diese inhaltlichen Aspekte haben dafür gesorgt, dass das Spiel heraussticht. Sie haben das im Laufe der Zeit dann etwas eingegrenzt, aber es gab dem Spiel eine Chance, seine eigenen Sachen zu entwickeln wie z.B. die Ego-Views ganzer Städte, das Rennen über eine hürdenreiche Strecke und die Kampfschläge sind wirklich in einer eigenen Liga. Sie sind großartig. Aber ob das Spiel die erste Phase ohne diese aufregende religiöse Spannung geschafft hätte – ich weiß es nicht. Religion hat ihm auf jeden Fall einen sehr guten Start verschafft. Ich vermute, es wäre ohne die Religion nicht ganz so gewesen. Die Lektüre dieses Papers hat sich gelohnt und war inspirierend.
Oliver Hugo: Und da hätten wir es auch schon wieder. Ein spannendes Paper, drei Marketingideen, ein Gast und heute mit von der Partie Sean Dromgoole einer der führenden Games-Marktforscher Europas. Unser Thema war ein Paper über Assassin's Creed von Ubisoft, in dem es um die Vermarktung religiöser Themen in Videospielen geht. Die drei Marketingideen jetzt noch mal ganz kurz im Schnelldurchlauf. Erstens, wenn du Marktforschung machst, bitte nicht bei der erstbesten Statistik stehen bleiben, sondern eine Weile weiterforschen. Und wenn du dann Widersprüche entdeckst, diese bloß nicht unterdrücken, sondern genau untersuchen, ja, sich sogar darüber freuen, denn sie können uns den Weg zu einem tieferen, zu einem differenzierteren Verständnis einer Sache, eines Themas, ja, einer Marke weisen. Hätte Ubisoft bei Assassin's Creed einfach gesagt, hey, Religion ist den Statistiken gemäß dem Sinkflug, dann hätte dieses sehr erfolgreiche Franchise wahrscheinlich nie das Licht der Welt erblickt. Zweitens, tiefe Bedürfnisse berücksichtigen und das Bedürfnis nach Sinn, das Religion eben anspricht, das ist ein solches tiefes Bedürfnis. Religion gibt es ja in allen Kulturen, alle Kulturen haben Geschichten, Legenden, die sich mit den großen Geheimnissen des Lebens befassen. Es lohnt sich also, über tiefe Bedürfnisse nachzudenken, auch wenn man so was Profanes wie einen Marketing-Mix entwickelt. Und drittens, ganz bewusst Metaphern im Marketing verwenden. Die machen nicht nur Spaß, sondern die können auch wertvolles Wissen auf ganz einfache, verdauliche Weise transportieren, wenn sie gut gewählt sind. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ganz herzlichen Dank fürs Reinhören. Ich freue mich, dass Sie dabei waren. Haben Sie Feedback? Dann schicken Sie den sehr, sehr gerne an mich, zum Beispiel per E -Mail: marketingmonokel@th-ab.de. Oder schauen Sie kurz in die Show Notes oder auf unserer Website vorbei. Ja, und an dieser Stelle auch nochmal ganz herzlichen Dank an Sean nach Großbritannien und bis zum nächsten Mal bei Dr. Hugo's Marketing-Monokel, ein Podcast der Technischen Hochschule Aschaffenburg.
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